Kategorie: Politik / politics
ein Lobgedicht für Erdogan
Weise, klug und kompetent
ist Erdogan, der Präsident.
Ja, ein lupenreiner Demokrat
mit perfekt getrimmtem Bart.
Für’s Volk ist er der Hirte
ein wahrer Vorbild-Türke,
der Kurden liebt und Christen
und nichts gemeinsam hat
mit ’nem Faschisten.
Er setzt sich ein für Frauen,
ja, ein Kopftuch schenkt Vertrauen.
Der Presse zeigt er Grenzen auf,
denn Lügen nimmt er nicht Kauf.
Herr Erdogan ist voll und ganz
ein Präsident der Toleranz.
Er ist wirklich supersmart,
und führt den Islam zurück zum Staat.
Ja, der Recep macht das richtig fein.
Da braucht es keine and’ren Parteien.
Seid unbesorgt, er hat alles bedacht.
Schlaft einfach weiter, gute Nacht.
Das zensierte Böhmermann-Gedicht im Wortlaut
Und das, was jetzt kommt, das darf man NICHT machen. Wenn das öffentlich aufgeführt wird – das wäre in Deutschland verboten.
Edit: Da 18 von 24 Zeilen des Schmähgedichts dauerhaft verboten bleiben, hier ersatzweise der Link zu einem Screenshot (Quelle NTV) aus dem Anhang der Pressemitteilung des Hamburger Landgerichts (verbotene Zeilen in Rot).
Eine komplette Wiedergabe des Gedichts und des dazugehörigen Kontexts gibt es weiterhin in diesem Spiegel-Artikel.
wie man sich keine Facebook-Freunde macht
Unlängst habe ich auf Facebook folgendes gepostet:
Das sind keine Menschen, die so was tun. Das sind Verbrecher.
[Stanislaw Tillich, sächsischer Ministerpräsident, im Zusammenhang mit den Vorfällen von Clausnitz]
Klar, diese sind moralisch zu verurteilen. Aber zu sagen, die beteiligten Bürger von Clausnitz seien keine Menschen, ist mindestens genauso verwerflich. Seit wann sind Verbrecher keine Menschen? Außerdem ist man in diesem Land erst dann ein Verbrecher, wenn einem eine Straftat nachgewiesen wurde. So primitiv die Clausnitzer Wir-sind-das-Volk-Rufe sein mögen, strafbar ist das meines Wissens nicht.
Die Kommentare vielen negativ bis beleidigend aus.
„Bitte denk‘ nach, bevor du Sachen teilst. Das ist einfach nur scheiße, was du da von dir gibst.“
„Das bringt mich zum Kotzen!“
Und etwas sachlicher: „Habe mich ehrlich gesagt auch über deinen Post gewundert … Klar sind das Menschen, aber es geht doch um die Vorfälle in Clausnitz. Und das, was da passiert ist, macht mich ziemlich fassungslos.“
Sollte ich mich verteidigen? Hatte ich tatsächlich eine Grenze überschritten? Ich überlegte lange und schrieb dann dies:
„Mir gefällt nicht, dass sich ein Ministerpräsident auf das gleiche Niveau herablassen kann und dafür auch noch Beifall bekommt. Ich finde auch beschämend, was da vorgefallen ist. Scheinbar ist hier der Eindruck entstanden, dass ich das Verhalten der beteiligten Clausnitzer akzeptabel finde. Das tue ich nicht. Moralisch ist das zu verurteilen. Justitiabel ist es meines Wissens nicht. Wir-sind-das-Volk-Rufe sind in dem Kontext primitiv und unsittlich, der Tatbestand der Volksverhetzung wird damit aber noch nicht erfüllt. Das Grundgesetz deckt zwar vieles ab, aber ein universelles Gesetz für Anstand und Nächstenliebe kann es in einem säkularen Staat nicht geben. Erzwungene Nächstenliebe wäre auch eine contradictio in adjecto. Wie auch immer: Um die Gräben in diesem Land zu schließen, muss verbal abgerüstet werden. Von allen Seiten. Politiker, die einer Diskussion [z.B. mit der AfD] aus dem Weg gehen [nach dem Motto: mit solchen Menschen rede ich nicht] sind nicht nur feige, sondern richten Schaden an. Es gibt kaum etwas, was einen Menschen stärker beleidigen kann, als das Gefühl, als minderwertig oder dumm angesehen zu werden. Trotzdem thronen wir auf unserem moralischen Ross und blicken auf die jeweils als Gegner ausgemachte Gruppe herab: Grüne lassen sich über AfDler aus und umgekehrt, Pegida-Leute blicken auf Flüchtlinge herab, muslimische Flüchtlinge auf christliche und umgekehrt [alles grob verallgemeinert]. Jeder scheint die Wahrheit gepachtet zu haben. Nur so kommen wir kein Mü weiter. Wenn es legitim ist, eine Partei links der SPD zu wählen, ist es genauso legitim, eine Partei rechts der CDU zu wählen. Wenn Bürger mit der Flüchtlingspolitik nicht einverstanden sind, ist es deren gutes Recht, diese Meinung zu äußern, ohne gleichzeitig sozial geächtet zu werden. Und natürlich gilt, dass jede Form des Protests, die in Gewalt mündet, mit aller Härte verfolgt wird.“
Dafür gab es ein Like und leider keinen weiteren Kommentar. Aber vielleicht gibt es hier ja Leser, die mir ihre Meinung sagen möchten? Ich freue mich über sachliche Kommentare.
Waffengebrauch an der Grenze? Was hat Frau Petry [AfD] gesagt?
Frauke Petry: „Ich habe das Wort Schießbefehl nicht benutzt. Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt. Entscheidend ist, dass wir es so weit nicht kommen lassen und über Abkommen mit Österreich und Kontrollen an EU-Außengrenzen den Flüchtlingszustrom bremsen.“
Das ist harter Tobak. Das Gesetz, auf das sich Petry im Interview mit dem Mannheimer Morgen bezieht, gibt es allerdings tatsächlich: UZwG § 11 Schusswaffengebrauch im Grenzdienst. Es darf aber nur unter sehr strengen Bedingungen angewendet werden. Und diese Bedingungen werden von unbewaffneten Flüchtlingen mit Sicherheit nicht erfüllt. Vermutlich denkt Frau Petry aber schon einen Schritt weiter. In ihr eingezäuntes Deutschland könnte man ja nur noch mit Gewalt (oder List) eindringen. Die Grenzschützer würden darauf dann eben „reagieren“ – vielleicht „nur“ mit Warnschüssen, aber auf jeden Fall unter Einsatz der Dienstwaffe.
Die Frage ist folgende: Hat Petry mit ihrer Äußerung in summa mehr Menschen abgeschreckt als gewonnen? Leider ist letzteres nicht ausgeschlossen, auch weil die etablierten Parteien die AfD jetzt als Verfassungsfeind brandmarken und nicht mit deren Abgeordneten öffentlich diskutieren wollen. Ich finde, als Politiker sollte man sich einem TV-Duell stellen, egal wer da in der Runde sitzt, sonst haben die Extremisten schon ein Stück weit gewonnen.
Einen ausführlichen Artikel zu den Rechtsgrundlagen des Waffengebrauchs im Grenzdienst finden Sie hier.
Nachtgedanken
Denk ich an Deutschland und Europa in der Nacht, werde ich tatsächlich um den Schlaf gebracht.
Woher kommt mein ungutes Gefühl? Woher meine innere Abneigung gegenüber dem Islam? Ist sie unbegründet, fehlgeleitet oder übertrieben? Habe ich zu viel Houellebecq gelesen? Warum bereiten mir andere Weltreligionen weniger Kopfzerbrechen? Zumindest der Buddhismus ist mir doch genauso fremd. Lasse ich mich zu sehr von meinen Emotionen leiten? Woran liegt es, dass ich das Kotzen kriege, wenn ich schwarz verschleierte Frauen oder deutsche Konvertiten sehe? Warum gefällt mir der Gedanke, dass die Türkei EU-Beitrittskandidat ist, ganz und gar nicht? Warum ist der arabische Frühling so gnadenlos gescheitert? Warum fühle ich mich manchmal fremd im eigenen Land? Mache ich es mir zu einfach? Wie sieht meine Idealvorstellung eigentlich aus? Was bedeutet es, wenn ich feststelle, dass ich den einzelnen Menschen gar nicht ablehne, sondern mir die Vorstellung vom Ausbreiten einer rückwärtsgewandten Ideologie Sorgen bereitet? Warum darf man solche Gedanken nicht aussprechen, ohne an den Pranger gestellt zu werden? Warum bin ich nicht der einzige, der so denkt? Wie kann ich Stellung beziehen und mich gleichzeitig gegen Gewalt von Rechts abgrenzen? Gibt es Dinge, die nicht zusammen passen? Wie sollen wir unter diesen Voraussetzungen eine gemeinsame Identität erschaffen? Wie soll das alles enden? Ja, wie soll das enden? Ja wie?
Über Helden
Zum Helden kann nur werden, wer etwas riskiert, das kostbar ist. Man muss in Kauf nehmen, dass man schwer verletzt oder getötet wird, dass man aufgrund seiner Äußerungen oder Taten verunglimpft, gehasst oder gar verfolgt wird, dass man Familie und Freunde verliert oder zurücklassen muss. Das alles trifft natürlich auch auf Verbrecher zu. Und so muss immer hinzu gedacht werden, dass der Held seine Sache zum Wohl anderer Einzelpersonen oder des Gemeinwesens tut und nur sekundär eigene Interessen verfolgt. Trotzdem ist der Grad schmal. Die Polizisten, Soldaten und Spezialkräfte, die ihr Leben aufs Spiel setzen, damit wir in Sicherheit leben können, gelten zu Recht als Helden. Whistleblower Edward Snowden gilt vielen als Held, doch aus Sicht eines CIA-Agenten, der durch seine Enthüllungen möglicherweise in Gefahr gebracht wurde, ist er ein Verräter. Viele erhalten ihren Helden-Status erst Jahre nach ihrem Tod. Staufenberg war zunächst einmal ein Attentäter, erst im Rückblick wurde die Operation Walküre auch von den Deutschen gewürdigt.
Ob es in unserer Gesellschaft auch ungerühmte Helden gibt? Und ich spreche jetzt nicht von den Helden des Alltags (freiwillige Helfer, Ehrenamtliche etc.), von denen es zum Glück viele gibt, sondern von Personen, die im Gefängnis sitzen oder die von großen Teilen der Bevölkerung verachtet werden. Es wäre jedenfalls vermessen zu sagen, dass dies ausgeschlossen werden kann.
Was heute umstritten oder verboten ist, gilt in Zukunft vielleicht zu Recht als Maßgabe. In der Wissenschaftsgeschichte gibt es zahlreiche Fälle. Ein Beispiel: Ignaz Semmelweis entdeckte, dass der Grund für das Kindbettfieber in verunreinigten medizinischen Geräten wie Skalpellen liegt. Er wurde ausgelacht, bekämpft, landete in der Psychiatrie und starb dort offiziell an einer Blutvergiftung (der Exhumierungbericht deutet eher auf Gewalteinwirkung hin).
Wie verhält es sich mit diesen Personen? Ist Salman Rushdie Held oder Brandstifter? Ist Richard Dawkins Vordenker oder ein destruktiver Vulgärmaterialist? Ist Julian Assange ein Wegbereiter für freie Information oder zu Recht ein Staatsfeind? Kann ein Genforscher, der Experimente an Tieren durchführt, um eine Therapie gegen Krebs zu entwickeln, ein Held sein?
Um es ex negativo zu formulieren: Wer nur das sagt, was Common Sense ist, wer sich nicht traut, eigene Thesen auch gegen Widerstände zu artikulieren, der wird auf diesem Weg schon mal nicht zum Helden. Widerstand aus bloßen Provokationsgelüsten heraus ist natürlich auch nicht heldenhaft. Nur der, der zum Wohl anderer hohe Risiken eingeht, kann Held sein, und das auch nur, wenn sich die Tat, Idee oder These (ob sofort oder erst im Rückblick) auch als Bonum herausstellt. Denn man darf nicht vergessen: Auch gut gemeinte Taten, können böse Folgen haben.
Akif Pirinçci im Wortlaut
Akif Pirinçcis Tiraden sind indiskutabel. Trotzdem muss man ihn schon richtig zitieren. Sein KZ-Satz bezog sich nicht auf Flüchtlinge, sondern auf “Asylkritiker“, zu denen er Pegida und natürlich sich selbst zählt. Hier daher nochmal das vollständige Zitat: „Offenkundig scheint man bei der Macht, die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm [dem „Asylkritiker“] schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich andere Alternativen, aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.“ Hintergrund für diesen Satz war ein Bürgerforum in Kassel-Lohfelden, bei dem Dr. Walter Lübcke, Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel, Zwischenrufer, die ihren Unmut gegen die Einrichtung eines Flüchtlingslagers zum Ausdruck brachten, u.a. mit den Worten abkanzelte: „Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen“. Mehr dazu hier.
Es ist also eindeutig erkennbar, dass Pirinçci den KZ-Satz nicht auf Flüchtlinge bezogen artikulierte. Trotzdem wurde in nahezu allen wichtigen Medien die umgekehrte Deutung des Satzes vermittelt. Diese unangemesse Berichterstattung ist nur Wasser auf die Mühlen von Pegida und Hetzern wie Pirinçci, denn letztendlich fundamentiert es deren Bild von der sogenannten System- und Lügenpresse. Pirinçci hat nun gegen zahlreiche Medienhäuser Klage eingereicht. Er wird Recht bekommen und am Ende müssen diese Unterlassungserklärungen und Widerrufe abgeben. Teilweise ist dies schon geschehen. Ich appelliere daher an alle seriösen Medienleute, recherchiert anständig, zitiert korrekt und lasst euch nicht von einzelnen Wörten verführen. Ja, er hat das böse KZ-Wort gesagt, aber eben nicht in dem Sinn, wie anschließend drüber berichtet wurde.
Einen ausführlichen Artikel von Stefan Niggemeier zu diesem Thema finden Sie auf FAZ.net.