Moral und Distanz

Der folgende Text ist meinem Roman Die Außerstandsetzung entnommen. Er bildet dort das Schlusskapitel eines fiktiven Manifests, das den Titel In feindlicher Koexistenz trägt.

To those who think that all this sounds like science fiction, we point out that yesterday’s science fiction is today’s fact.[1]

Angenommen es existierte ein Computersystem, mit dem sich jede Schutzmaßnahme umgehen ließe, ein System, das in jeden Account, jedes Smartphone und jeden adressierbaren PC eindringen könnte – und zwar ohne die geringsten Spuren zu hinterlassen. Nehmen wir weiterhin an, man selbst hätte die privilegierte Möglichkeit, dieses Instrument zu nutzen. Die Versuchung, sich informelle Vorteile zu verschaffen, wäre sicherlich groß. Welche Grenzen würde man sich auferlegen? Würde man bloß Personen ausspähen, die man nicht kennt, nicht mag oder „die es verdienen“? Oder würde man auch Partner und Freunde kontrollieren, wenn ein Anlass da wäre?

Ein solches Szenario zielt natürlich auf die Frage ab, ob wir moralische Regelsätze auch dann befolgen, wenn wir wissen, dass unser Tun nicht sanktioniert wird. Ich bin in dieser Frage Pessimist. Ich denke, dass auch diejenigen, die meinen, hohe moralische Standards zu haben, nicht vor solchen Versuchungen gefeit wären. Es würde vermutlich klein anfangen und sich steigern, sobald das Gehirn gelernt hätte, dass negative Konsequenzen ausbleiben.

Im nicht-digitalen Miteinander gibt es zum Glück natürliche Schranken; Mechanismen, die evolutionär gewachsen sind und das Zusammenleben in kleinen Gruppen sicherstellen: Bspw. können nur trainierte oder pathologisch veranlagte Menschen einem Wehrlosen eigenhändig physische Gewalt zufügen, ohne dabei Reue, Widerwillen oder Mitgefühl zu empfinden. Wird Gewalt aber nicht mehr von Angesicht zu Angesicht ausgeübt, versagen die nativen Schutzmechanismen. Das zeigt sich am deutlichsten in der modernen Kriegsführung (Töten per Knopfdruck). Darüber hinaus hat sich in den Milgram-Experimenten offenbart, dass selbst untrainierte Zivilisten zu schwerer Folter fähig sind, wenn Befehlston und räumliche Distanz zusammenkommen.[2]

Das Internet ist erst wenige Dekaden alt. Trotzdem verbringen wir einen Großteil unserer Zeit im Netz. Eingedenk des oben Gesagten ist es nicht verwunderlich, dass der Ton in den sozialen Medien oft aggressiv ist und ein zunehmender Verfall der Sitten beklagt wird. Die wenigsten Hasskommentare und Beleidigungen haben in diesen Kommunikationsräumen Konsequenzen für den Absender. Ein schlechtes Gewissen oder Mitleid stellt sich bei vielen nicht ein, da das Gegenüber, mit dem man oft nicht bekannt ist, ein Abstraktum bleibt, ja bleiben muss. Ähnlich verhält es sich bei Internetkriminellen. Das Wissen um die negativen Konsequenzen für Hacking-Opfer ist natürlich da, aber Distanz und Anonymität des Mediums verhindern überaus erfolgreich, dass die Psyche rebelliert. Kriminelle, die Verschlüsselungstrojaner verschicken oder Handelsplätze für Kryptowährungen kompromittieren, müssen dafür schließlich nicht einmal ihre Komfortzone verlassen. Im 20. Jahrhundert waren Bankräuber noch hartgesottene Kerle, bereit, im Ernstfall die Schusswaffe zu gebrauchen. Diesen Typus des Bankräubers wird es in Zukunft nicht mehr geben. Stattdessen werden zunehmend solche zu Kriminellen, die im echten Leben[3] nicht fähig wären, einen Taschendiebstahl zu begehen. Bestes Beispiel hierfür ist vielleicht der US-Amerikaner Ross Ulbricht. Der libertäre Penn-State-Absolvent[4] hob mit Silk Road innerhalb weniger Monate die größte Handelsplattform des Darknets aus der Taufe. Dass Ulbricht nun vierzig Jahre einsitzen muss, klingt vielleicht ungerecht, eingedenk, dass er keine physische Gewalt ausgeübt hat (und keine Vorstrafen hatte). Aber um potentielle Nachahmer maximal abzuschrecken, musste die Justiz natürlich Härte zeigen.

Womit wir wieder beim Ausgangsszenario wären, dem Problemkomplex, den eine ultimative Spionagemaschine schaffen würde (dass eine solche kein bloßes Gedankengespinst bleiben muss, wurde bereits erörtert[5]). Hier sollten wir uns nichts vormachen: Internetkonzerne mögen öffentlich einen Kodex propagieren, die treibende Kraft aber bleibt die Gier nach Profit. Genauso unweigerlich folgen Geheimdienste und staatlich geförderte Hackerkonglomerate ihren je eigenen Interessen, während Sanktionen qua ihrer Spitzenposition im Machtgefüge meist verunmöglicht werden. Es sind diese unkontrollierbaren Strukturen, die stets einen Technologievorsprung haben werden! Gleichzeitig läuft das Individuum Gefahr, zum gläsernen Testobjekt zu degenerieren, und zwar ohne dass es sich daran stören würde.

Technologie ist Macht. Das gilt heute, das gilt morgen. Wir können also entweder dabei zusehen, wie uns unsere Freiheit nach und nach genommen wird, oder wir können Widerstand leisten. Passiven Widerstand leisten wir, indem wir der digitalen Welt so oft wie möglich abschwören und uns wieder auf das zurückbesinnen, was oben als natürliches Leben beschrieben wurde, einschließlich der Nutzung von small-scale-Technologie und dem Verzicht auf Konsumgüter, die wir nicht zwingend benötigen. Aktiven Widerstand leisten wir, indem wir uns in Gemeinschaften Gleichgesinnter organisieren und unsere Botschaft durch Aktionen zivilen Ungehorsams ins Kernbewusstsein der Gesellschaft tragen. Das mögen kleine Schritte sein, aber sie geschehen aufrechten Ganges. – Wer denken kann, der denke, und schreite voran.


[1] Ted Kaczynski: Industrial Society and Its Future, Abschnitt 160.
[2] Milgram: Behavioral Study of Obedience. Journal of Abnormal and Social Psychology 67, 1963, S. 371-78.
[3] Hacker und Netzaktivisten bevorzugen oft das Kürzel afk (away from keyboard), da sie die digitale Welt als gleichberechtigten Teil der Realität ansehen.
[4] Masterabschluss in Kristallografie.
[5] Siehe Kap. 2.3 – Die Symbiose von Super- und Quantencomputer.

OkCupid – damals und heute – ein kritischer Erfahrungsbericht

2014 habe ich mich auf OkCupid angemeldet. Das auf der Beantwortung und Gewichtung von Fragen beruhende Matchingsystem erschien mir eine wohltuende Alternative zu Tinder und dem oberflächlichen Swipen zu sein. Damals gab es keine deutsche Sprachversion, was den Effekt hatte, dass das Publikum internationaler war als bei der Konkurrenz. Es gab 2014 natürlich auch schon Funktionen, die nur gegen Bezahlung freigeschaltet wurden, aber die kostenfreie Version war insgesamt gut nutzbar und nicht so stark eingeschränkt, wie das heute der Fall ist. Klar, es wurde viel Werbung geschaltet, aber das war und ist völlig ok, schließlich muss sich die Plattform für die Betreiber rechnen.

Damals gab man einige Präferenzen an und dann wurden einem nur solche Profile angezeigt, die darauf passten, wobei Profile mit dem höchsten Matchwert noch oben sortiert wurden. War man zu wählerisch, musste man z.B. den Suchradius erweitern oder bestimmte Vorgaben wieder abwählen, aber es wurden einem nicht x-beliebige Profile angezeigt, wie das heute der Fall ist, wenn man die kostenlose Version verwendet.

Nach und nach ist OkCupid leider zur Tinder-Kopie geworden. Mittlerweile wird man auch hier zum Swipen (App) bzw. Wegklicken (Desktop) verpflichtet und kann sich erst gegenseitig schreiben, wenn ein Match vorliegt. Natürlich sieht man nur dann, wer einen geliket hat, wenn man zahlender Kunde ist. Günstig ist das nicht. Hier die aktuellen Preise für OkCupid Premium (Stand Juli 2022).

Man soll natürlich gleich 6 Monate buchen – macht 101,46 €, die sofort fällig werden.

Alternativ kann man versuchen, den Erstkontakt über ein sogenanntes „Intro“ herzustellen. Allerdings versanden solche Textnachrichten oft, da sie nur von Mitgliedern mit Abo überblickt werden können. Ohne Abo sieht man immer nur die älteste Nachricht. Um die übrigen sichtbar zu machen, muss man sich durch die Profile der Absender hangeln. Das machen viele natürlich nicht. Einen Spam-Ordner geht man ja auch nicht Mail für Mail durch.

Präferenzen werden nur in kostenpflichtiger Version streng berücksichtigt

Ich habe es bereits angesprochen. Früher hat OkCupid die Präferenzen aller Nutzer befolgt. Wenn man angegeben hat, dass man heterosexuelle Frauen sucht, dann wurden auch nur Profile mit Frauen dieser Orientierung ausgeliefert. Prinzipiell ist das auch immer noch möglich, aber man muss für sogenannte „No-Gos“ das Premium-Abo haben. Und so werden dem nicht zahlenden Nutzer im Jahr 2022 auch Profile angezeigt, die von der sexuellen Orientierung her gar nicht passen, und zwar ständig. Ich habe natürlich nichts dagegen, dass man auf OkCupid alle denkmöglichen Geschlechter, Orientierungen und Vorlieben angeben kann – jeder möge nach seiner Façon glücklich werden – aber als störend empfinde ich es schon, dass ich mich durch Profile klicken muss, die grundsätzlich nicht passen. Es soll natürlich stören und gefrustete Nutzer in die Bezahlversion treiben. Ob diese Strategie aufgeht? Ich habe da große Zweifel.

Früher war es außerdem so, dass man ein Profil einmal wegklicken musste und dann wurde es nicht wieder vorgeschlagen. Heute werden weggeklickte Profile einfach wieder und wieder ausgeliefert. Offenbar will man zweierlei: Nutzer möglichst lange auf der Plattform halten und gleichzeitig vermeiden, dass sie sich abwenden, weil sie in ihrer Region nicht fündig werden. „Dann lassen wir sie doch einfach noch einmal durchswipen, den meisten fällt es sowieso nicht auf.“ So oder so ähnlich scheinen die Strategen hinter OkCupid zu denken.

Du bist ein guter Fang! Auch OkCupid betreibt Abzocke

Nun komme ich zu dem Punkt, der mich dazu bewogen hat, diesen Artikel zu schreiben. Ich dachte immer, OkCupid sei einigermaßen fair und betreibe keine Abzocke wie andere Anbieter. Leider ist das nicht der Fall. Man wird auch hier mit Tricks zum Abschließen eines Abos gebracht.

Like ist nicht gleich Like
Man geht ja davon aus, dass die Likes, die man erhalten hat, von Nutzern kommen, die grundsätzlich interessant sein könnten. Deswegen freut man sich durchaus über 39 Likes und denkt sich, „ach komm, ich zahl mal einen Monat, und schaue mir an, wer mich da geliket hat.“

Screenshot aus der Desktop-Version. Man wird umschmeichelt, um zu zahlen.

Nachdem man bezahlt hat, stellt man ernüchtert fest, dass 90 Prozent der Anfragen aus Kenia oder anderen Regionen der dritten Welt stammen. Man denkt sich, gut, das mag wohl daher kommen, dass es Leute gibt, die bei Entfernung „überall“ angeben. Tatsächlich gibt es aber noch einen anderen Grund – und hier nimmt die Masche ihren Lauf:

Ich habe das Premium-Abo einen Monat lang gehabt. Es kamen in dieser Zeit keine Likes hinzu, was an meinem Profil liegen mag, aber just nachdem das Abo abgelaufen war und ich keine Likes mehr sehen konnte, gingen binnen einer Stunde dutzende neue Likes ein. In den Tagen danach herrschte hingegen wieder die gewohnte Flaute. Was war hier passiert?
Nun, es ist wohl so: Sowie mein Abo abgelaufen war, wurde mein Profil für kurze Zeit für Nutzer freigegeben, die weltweit suchen und selbst aus Ländern stammen, in denen man sich nach westlichem Wohlstand sehnt. Die Likes prasseln dann rein wie Platzregen, wobei der Algorithmus bei einer hinreichenden Menge zumacht, es sollen ja keine unrealistischen Werte entstehen. Es braucht also gar keine Fake-Accounts, um Nutzer in ein Abo zu locken. Die hier beschriebene Methode ist raffinierter, vermutlich wird sie bei allen Accounts angewendet, die kaum oder keine Likes in ihrer Heimatregion erzielen und kein aktives Abo haben. Beweisen kann ich das natürlich nicht, aber ich bin mir verdammt sicher, dass es so gemacht wird.

Fazit
OkCupid ist mittlerweile eine Dating-Plattform wie jede andere. Man wird zu oberflächlichem Swipen gezwungen. Die kostenlose Version ist nur sehr eingeschränkt nutzbar und man wird mit miesen Tricks in ein Abo gelockt. Ich kann OkCupid daher nicht mehr empfehlen. Das war vor ein paar Jahren noch anders. Schade.

Passives Einkommen. Geld verdienen mit Stockfotos. Geht das?

Sie sind ambitionierter Hobbyfotograf (oder Fotografin) und fragen sich, ob sich mit Ihren Fotos Geld verdienen lässt? Die Antwort lautet in den meisten Fällen JA, ein JA hinter das man allerdings sofort ein großes ABER setzen muss. Als Hobbyfotograf wird Ihnen bei Microstock-Agenturen wie Shutterstock * oder Dreamstime * eine Chance gegeben, allerdings sind es meistens nur Beträge unter einem US-Dollar, die Sie pro Bildverkauf erhalten. Um mehr als nur ein kleines Taschengeld zu verdienen, müssen Sie also Bilder einstellen, die das Potential für viele Verkäufe haben. Je mehr davon, desto besser. Viele Anfänger stellen 20 Bilder ein und sind dann enttäuscht, wenn nichts passiert. Machen Sie eine Null dahinter: Wenn erst einmal 200 Ihrer Bilder akzeptiert wurden, werden auch die Verkäufe nicht lange auf sich warten lassen. Natürlich müssen Sie die Bilder gut beschriften. Dies können Sie entweder direkt nach dem Hochladen im Browser machen (mit den Mitteln, die die jeweilige Agentur bereitstellt) oder eben schon im Vorfeld (z.B. mit Lightroom oder XnView). Letzteres wäre sinnvoll, wenn Sie vorhaben, die Bilder an verschiedene Agenturen zu geben. Dann müssen Sie nach dem Hochladen nur noch ein paar agenturspezifische Anpassungen vornehmen, aber bei der Beschriftung (Bildbeschreibung, Schlüsselwörter, Ortsangaben) nicht von vorne anfangen, denn die in der Bilddatei enthaltenen Metadaten werden beim Hochladen übernommen.

Wenn Sie bis hierhin gelesen haben, sollte Ihnen schon klar geworden sein, dass einiges an Arbeit vorausgesetzt wird, um tatsächlich etwas für seine Fotos zu bekommen. Wenn Sie es ausschließlich wegen des Geldes machen wollen, dann tun Sie es bitte nicht. Aufwand und Erlös stehen nur in seltenen Fällen in einem gesunden Verhältnis. Da bräuchten Sie schon richtige Bestseller: Fotos, die sich hundertfach verkaufen. Es gibt solche Bilder, es gibt Fotografen, die von Microstock leben können, aber dies sind eben Profis, die ganz genau kalkulieren, viel Erfahrung haben und genau wissen, was sich verkauft und was nicht. Allgemein lässt sich mit People-Fotografie am meisten Umsatz machen. Aber hier sind die Hürden auch am höchsten: Man braucht Models, ein Studio, gutes Equipment usw. Das ist also ein Bereich, in dem sich viele Profis tummeln und Amateure kaum Chancen haben. Die meisten ambitionierten Hobbyisten fotografieren ja vornehmlich Tiere, Pflanzen, Landschaften, Städte – oft auf Reisen, aber auch vor der Haustür. Einiges davon lässt sich sicherlich als Stockmaterial verwerten, aber größere Umsätze kann man natürlich nur generieren, wenn man gezielt für den Stockfotomarkt fotografiert. Falls Sie sich fragen, woher ich das weiß: Ich arbeite seit über 10 Jahren im Stockfotobusiness, bin bei einer Agentur angestellt, aber fotografiere auch selbst und vermarkte meine Fotos.

Fazit: Ja, Sie können als ambitionierter Hobbyfotograf mit Ihren Fotos, die Sie z.B. im Urlaub gemacht haben, etwas verdienen. Sie müssen aber viel Arbeit in die Beschriftung stecken und Sie sollten zunächst höchstens mit einem Taschengeld rechnen. Neben dem monetären Aspekt wird Ihnen die Beschäftigung mit Ihrem persönlichen Fotoarchiv vielleicht Freude bereiten. Sie werden ältere Bilder vielleicht noch einmal neu bewerten, Sie werden recherchieren, was Sie tatsächlich fotografiert haben (denken Sie an Tier- und Pflanzenarten, Orte, Kunstgegenstände usw.), und Sie werden einen Anreiz haben, sich zu verbessern. Ich persönlich empfinde das Arbeiten mit den eigenen Bildern jedenfalls als Bereicherung und ich freue mich über jeden Verkauf.

Hier die wichtigsten Agenturen, wo Sie als Nicht-Profi eine Chance bekommen können:

Shutterstock > Bewerbungsseite * (mein persönlicher Favorit)

Dreamstime > Bewerbungsseite * (Agentur mit der größten Community)

Ferner: iStock (die Microstocksparte von Getty Images) und Adobe Stock (ehemals Fotolia)

Um einen breiteren Überblick der Agenturlandschaft zu bekommen, empfehle ich auch folgende Seite: bildagentur-vergleich.de

* Affiliate Link

Über die Gelassenheit – ein Dialog

Ich habe mit einem Freund einen schriftlichen Dialog über die Gelassenheit geführt. Seine Worte sind die des Damuero, meine die des Sempervirentz. Der Dialog kann hier als PDF heruntergeladen werden. Das sollte als Vorabinfo reichen. Gehen wir in medias res.

Sempervirentz: Was ist Gelassenheit? Über diese scheinbar einfache Frage, möchten wir hier sprechen. Natürlich haben wir alle eine ungefähre Vorstellung davon, was Gelassenheit ist, schließlich verwenden wird das Wort ganz selbstverständlich in der Alltagssprache. Wir assoziieren Ausgeglichenheit, Gemütsruhe, Beherrschtheit und vielleicht auch Coolness.
Begriffsgeschichte ist bei unserer Fragestellung nebensächlich. Trotzdem sei eingangs erwähnt, dass Gelassenheit nicht mit lassen im Sinne von seinlassen in Verbindung steht. Es ging aus dem Mittelhochdeutschen gelāʒen hervor, was so viel wie niederlassen und im übertragenen Sinne sich gottergeben bedeutete. Gottvertrauen steht historisch also in enger Verbindung mit Gelassenheit. Ich werde darauf zurückkommen. Zunächst aber schlage ich vor, dass wir uns der Sache ex negativo näheren. Meine erste Frage an dich lautet daher: Was sind Grenzfälle oder Zeichen ‚falscher‘ Gelassenheit?

Damuero: Es kommt auf den Kontext an, in dem man sich bewegt. Im geselligen Beisammensein mag es leicht sein, gelassen zu wirken. Ist man hingegen allein, rücken meist andere Gedanken in den Vordergrund. Vermeintliches Gelassensein verfliegt dann mitunter schnell. Öffentliche Coolness muss also nicht notwendigerweise mit echter Gelassenheit in Verbindung stehen.
Oft mag man allgemeine Passivität mit Gelassenheit verwechseln. Aber auch wenn es Schnittmengen gibt, sollte keineswegs jene Passivität gemeint sein, die durch Antriebslosigkeit und Lethargie verursacht wird. Ist es ein Zeichen von Gelassenheit, wenn man die täglichen Aufgaben im Beruf erst einmal ignoriert, nur um dann später in Hast zu geraten? Wohl kaum.
Was aber könnte das Gegenteil von Gelassenheit sein? Ich denke, die Antwort lautet Angst.

Sempervirentz: Ich denke, Angst trifft es nicht ganz. Ich verstehe Gelassenheit als Symptom. Angst hingegen ist ursächlich für Symptome wie innere Unruhe, Unrast oder Nervosität. Ich subsumiere sie unter dem Begriff Getriebenheit. Wenn Angst nun die Ursache für Getriebenheit ist, was ist dann die Ursache für Gelassenheit? Reicht das Fehlen von Angst schon aus, um gelassen zu werden?
Aber wir greifen voraus. Worin besteht denn das Gelassenheitssymptom? Du sagst, dass es keineswegs eine milde Form von Lethargie sein kann. Dem stimme ich zu. Ich denke auch, dass ein gelassener Mensch kein zielloser Mensch ist. Er hat Hoffnungen, Wünsche und Träume, die er abwägend verfolgt. Er hat sie im Blick, aber er macht sich nicht verrückt, wenn etwas dazwischen kommt. Gleichzeitig unterbindet es der Gelassene, jedem Reiz, der Ablenkung verspricht, nachzugehen. Auch Störreize bringen ihn nicht sofort aus der Ruhe. Erst dann, wenn diese überhand nehmen, widmet er sich diesen. Wenn er feststellt, dass er mit bestimmten Störfaktoren leben muss, dann akzeptiert er diese nach einer Weile und lässt sich nicht dauerhaft von diesen vereinnahmen. Du siehst, meine Anforderungen an den Gelassenheitsbegriff sind hoch.

Damuero: Die Aussage, dass Angst das Gegenteil von Gelassenheit sei, war ein recht spontaner Gedanke. Ich finde deine systematische Einordnung gut und verstehe deine Einwände. Nun sind wir uns ja darin einig, dass Angst eine entscheidende Rolle spielt. Daher möchte ich an dieser Stelle ein paar allgemeine Überlegungen zur Angst einfügen.
Angst ist nach meinem Verständnis eine Reaktion auf Vorgänge, die wir als bedrohlich interpretieren. Evolutionsbiologisch war sie sinnvoll, um bei spontan auftretenden Gefahren den Organismus rasch zu aktivieren und eine schnelle Reaktion zu ermöglichen. Ich habe irgendwo gelesen, dass ein Teil unserer zivilisatorischen Schwierigkeiten darauf beruht, dass dieser Mechanismus immer noch aktiv ist, aber aufgrund fehlender Gefahren und gleichzeitiger Überreizung der Sinne zu dauerhaftem Stress führt. Ein Beispiel: Ich sitze im Büro, und obwohl mir dort nichts Existenzielles zustoßen kann –  selbst im Falle einer Kündigung ist mein Lebensunterhalt gesichert – empfinde ich allerlei Einflüsse und Reize als bedrohlich und kann aufgrund des daraus resultierenden Dauerstresszustandes daran erkranken (siehe Burnout-Syndrom). Kurzum: Ursprünglich diente Angst als Retter in lebensbedrohlichen Situationen, heute ist sie innerhalb unseres materiell abgesicherten Lebens selbst zur Gefahr geworden. Der schlimmste Fall ist die Angst vor der Angst. Dann mündet der Mechanismus in einem absurden Kreislauf, der zu schwersten Störungen führt. Eine Randbemerkung an dieser Stelle: Laut Jordan Peterson ist Alkohol der Angstlöser schlechthin (von speziellen Medikamenten abgesehen). Auch der eigene Alkoholkonsum kann also eventuell Aufschluss über vorhandene Ängste geben.
Nun aber zu deiner Frage: Reicht das Fehlen von Angst aus, um gelassen zu werden? Ich denke, dass ein Mensch ohne Angst, oder besser: ein Mensch mit einem gesunden Verhältnis zur Angst, recht gute Chancen hat, gelassen zu sein. Hier müsste man überlegen, ob es noch andere Quellen für Getriebenheit gibt. Auch wenn vieles, was auf den ersten Blick nicht danach aussieht, auf Angst zurückführbar ist, so bleibt doch sicher das Verlangen als Ursache von Getriebenheit. Z.B. das Verlangen nach Geld, nach Sex oder nach Anerkennung. Vereinfacht könnte man sagen, es gibt eine Getriebenheit, um von etwas wegzukommen, und eine, um einer Sache näherzukommen. Nun zu deiner positiven Bestimmung der Gelassenheit. Diese geht über einen situativen Zustand hinaus und beschreibt den Wesenszug eines Menschen. Dieser Beschreibung kann ich mich durchaus anschließen. Sie erinnert mich an die aristotelische goldene Mitte. Gelassenheit als Tugend zwischen Getriebenheit und Gleichgültigkeit. Zusammenfassend kann man vielleicht sagen: Der Gelassene hat ein gesundes Verhältnis zu Angst und Verlangen.
Mit welchen Mitteln kann man Gelassenheit erreichen? Das ist vermutlich bei jedem Menschen etwas verschieden. Ich möchte aber trotzdem aufzeigen, was mir persönlich hilft.

  • Finde einen guten Umgang mit deinen Ängsten. Lerne das Gefühl der Angst auszuhalten: „Feel comfortable in the uncomfortable“ – der Kreislauf der Angst kann so durchbrochen werden.
  • Es scheint so, dass Shaolin-Mönche aufgrund ihrer physischen Abhärtung (durchaus auch im wörtlichen Sinne) weniger anfällig für Angst und Depressionen sind.
  • „Doubt is removed by action“: Ich erlebe regelmäßig, wie Unsicherheit und Ängste einfach abfallen, wenn ich aktiv werde und mich einer Tätigkeit widme. Untätiges Hadern ist der falsche Ansatz.
  • Sei dir über das bewusst, das dich antreibt. Ein gelassener Mensch weiß, was ihm im Leben wichtig ist. Er hat klare Ziele, auch wenn er sie vielleicht nicht explizit formuliert. Wenn ich ein klares Ziel habe und meinen Geist darauf ausrichten kann, wenn es mir nötig erscheint, lasse ich mich nicht so leicht ablenken.
  • Lebe gesund: viel Bewegung; ausreichend Schlaf und Ruhe; steuere welchen Einflüssen du deinen Geist und Körper aussetzt; esse gut und verzichte im Alltag auf Alkohol.
  • Schätze die Gesellschaft von Menschen und erlebe die Wohltat, sich zu öffnen, sich helfen zu lassen und anderen zu helfen.
  • Lebe dich aus: Tue die Dinge, die du immer tun wolltest; erlebe Neues, probiere dich aus.

Sempervirentz: Ich fange mal beim Biologischen an. Du hast Recht: Die Evolution der menschlichen Physiologie hält nicht Schritt mit den sich verändernden Umwelt- und Lebensbedingungen; Kulturgeschichte und Anthropogenese haben ein völlig unterschiedliches Tempo. Genetisch gesehen sind wir näher an der Steinzeit als an der Neuzeit. Vielleicht empfinden auch deswegen viele (insbesondere Männer) Aktivitäten wie Jagen, Fischen, Wandern oder auch Kampfsport als positiv, schließlich genügen sie dem Erbe als Jäger und Sammler. War ein Überschuss an Testosteron einst ein Überlebensvorteil, so kann er sich heute schnell ins Gegenteil verkehren. Ohne geeignete Kanalisierung der Triebe kommt der Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht und man läuft Gefahr, zum gestressten, frustrierten, ja ohnmächtigen Wesen zu werden. Viel Bewegung ist daher sicherlich ein ganz wichtiger Punkt, um sich in der modernen Welt gut fühlen zu können. Die richtige Ernährung ist gleichermaßen wichtig. Aber auch hier ist eine genetische Verschiebung nachweislich vorhanden. Zwar haben sich Anpassungen vollzogen – anders als Asiaten können Europäer z.B. mehrheitlich Milchzucker verdauen – aber Probleme durch Laktose oder Gluten sind trotzdem weit verbreitet, da in der vorsesshaften Vergangenheit Milch und Getreide nicht Teil der üblichen Ernährung waren.
Ich stimme mit dir auch darin überein, dass sich Getriebenheit aus verschiedenen Typen ergeben kann. Typ 1 wäre vermeidend (Angst vor / um etwas), Typ 2 zielgerichtet (Verlangen nach etwas). Gibt es vielleicht noch einen dritten, ungerichteten Typus, der basale Instinkte wie den Überlebenstrieb umfassen könnte? Was meinst du? Zudem könnte man noch unterscheiden zwischen instinktiven, individuellen und kulturell geprägten Formen, wobei hier sicherlich auch Mischformen möglich wären.
Angst kann sich, wie du sagst, in einem Zirkel selbst verstärken. Das ist eine wichtige Erkenntnis, auf die ich auch aufgrund persönlicher Erfahrungen kurz eingehen möchte. Ein großer Teil meiner Angst ist tatsächlich ‚Meta-Angst‘. Ich habe beinahe mehr Angst vor zwanghaften Verhalten als vor den Dingen, die dieses begründen. Zwanghaftigkeit nagt an den Fundamenten des Selbstbewusstseins, da man in solchen Zuständen den Eindruck hat, nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein. Die Angst vor Kontrollverlust wäre also ein weiteres Beispiel, bei der eine völlige Entkopplung von der eigentlichen Funktion vorliegt.
Darüber, dass Alkohol ein Angstlöser ist, besteht kein Zweifel. Die weltweite Beliebtheit spricht für sich. Natürlich löst er keine Probleme, man kann sich höchstens etwas Zeit kaufen, kurze Stunden der Ausgelassenheit, wobei dies natürlich etwas völlig anderes ist als Gelassenheit. Ich möchte hier den Alkohol nicht verteufeln. Das wurde an anderer Stelle schon so oft gemacht und kann überall nachgelesen werden. Ich persönlich denke, dass er maßvoll in Gesellschaft genossen, das Leben durchaus bereichern kann.
Nun aber zum Kern des Ganzen. Ganz genau, werter Damuero, der Gelassene hat ein gesundes Verhältnis zu Angst und Verlangen. Er ist keineswegs frei davon, so wie es Dritte manchmal von sogenannten „Erleuchteten“ behaupten. Auch Diogenes von Sinope war nicht frei davon. Sein Ansatz bestand darin, seine Triebe auf möglichst einfache Art zu befriedigen und ansonsten über andere zu spotten und mehr oder weniger tatenlos zu bleiben. Das von ihm überlieferte Bild ist für mich eher eine Karikatur des gelassenen Menschen.
Das Negieren des Willens, um Gleichmut zu erreichen, die Geringschätzung weltlicher Dinge, asketische Ernährung, diese Jesus-Attitude, all das hat mich zwar immer irgendwie beeindruckt, aber ich habe für mich festgestellt, dass ich dafür nicht gemacht bin. Es ist genau genommen ja auch widernatürlich. In der Evolution haben sich Verstand und Sprache durchgesetzt, weil sie einen Überlebensvorteil boten, nicht weil Homo damit über die Bedingungen der eigenen Existenz nachdenken konnte. Ich gebe zu, dass mir letzteres zwar Freude bereitet, aber ein konsequenter Philosoph, der seine Einsichten eins zu eins lebt, werde ich vermutlich nie. Seien wir ehrlich: Bei den entscheidenden Lebensfragen kommt die Philosophie seit der Antike kaum weiter – und glücklich macht sie nur wenige. Nun bin ich bin ein bisschen abgedriftet. Aber es wirft vielleicht etwas Licht auf die Frage, wie viele Lebensregeln man sich zumuten kann, ohne daran zu verzweifeln.
Noch ein Wort zu Schriften, in denen dargelegt wird, dass Gedanken, Träume und Hoffnungen eine Materialisierung nach sich ziehen. Nach dem Prinzip: Wer an sich glaubt, der wird Erfolg haben. Wer zweifelt, wird von seinen Zweifeln eingeholt. Das Leben als selbsterfüllende Prophezeiung. Ich möchte das nicht in Grund und Boden reden. An sich zu glauben, ist meistens hilfreich. Aber für mich ist ein solches Konzept unzureichend, nicht nur weil es voraussetzt, dass man seine Gedanken in hohem Maße kontrollieren kann, sondern auch, weil mich die Vorstellung, man habe sein Schicksal weitestgehend in der eigenen Hand, überhaupt nicht überzeugt.
Das Schlusswort möchte ich nun dir überlassen. Nicht ohne vorher zu verraten, dass mir manchmal tatsächlich so etwas wie Gottvertrauen dabei hilft, nicht völlig die Orientierung zu verlieren. Es ist dies der Glaube, dass sich die Dinge schon irgendwie zum Guten fügen werden. Für mich persönlich ist es also durchaus sinnvoll, die ursprüngliche Bedeutung von Gelassenheit mitzudenken.

Damuero: Du hast viele Punkte angesprochen und da es meine letzte Antwort sein soll, kann ich nicht auf alle angemessen eingehen. Zu den Typen der Getriebenheit: Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen finde ich interessant, vor allem auch wenn man sich damit beschäftigen möchte, was in einer Gruppe oder Gesellschaft zu mehr Gelassenheit führen könnte. Aber wie du andeutest, ist eine scharfe Trennung wohl oft nicht einfach. Für meine persönliche Situation halte ich die Unterscheidung für nicht so relevant. Den Überlebenstrieb würde ich beispielsweise nicht hinterfragen, nur um gelassener zu sein.
Passend zu deinem Ausflug in die antike Philosophie habe ich mich in der Zwischenzeit etwas intensiver mit den Stoikern beschäftigt. Ich teile deine Einschätzung von Diogenes. Auch wenn er inspiriert, die eigenen Lebensgewohnheiten und Konventionen zu hinterfragen, dient er mir kaum als Vorbild für ein glückliches Leben. Die Stoiker, die wohl von den Kynikern beeinflusst waren, sind doch vielmehr dem produktiven Leben in der Gesellschaft zugewandt. Von ihnen habe ich einiges über Gelassenheit gelernt, aber das würde hier zu weit führen. Zusammenfassend kann ich sagen, dass sich mein Verständnis der Gelassenheit so gewandelt hat, dass ich sie nicht nur als bewusst herbeigeführte innere Haltung, sondern als Resultat eines angemessenen Umgangs mit den eigenen Bedürfnissen und Zielen verstehe. Zumindest im stoischen Sinne erfordert Gelassenheit Disziplin und Ordnung. Daher muss ich dir an dieser Stelle auch widersprechen: Die praktische Philosophie kann durchaus glücklicher und zufriedener machen. Bei der Beschäftigung mit der Frage, inwiefern der eigene Erfolg von den eigenen Gedanken abhängt, stehe ich noch ganz am Anfang, es gibt aber aus meiner Sicht Hinweise, dass doch einiges dafür spricht. Aber vielleicht wäre das ein gutes Thema für einen neuen Dialog. Abschließend kann ich dazu sagen, dass man vielleicht nicht die Ereignisse des eigenen Lebens völlig in der eigenen Hand hat, aber doch, wie man damit umgeht. Und damit wären wir wieder bei der Gelassenheit.

Helix Orange ist tot. ICO Pre-Sale Investoren sind ihr Geld los.

Oliver Naegele, CEO und Gründer der in Frankfurt ansässigen BLOCKCHAIN HELIX AG, mag zu den Pionieren der deutschen Blockchain-Szene gehören. Seine Weste ist allerdings nicht mehr weiß. Im Gegensatz zu Yassin Hankir, der mit dem FinTech Startup Savedroid 2018 einen Exit-Scam vortäuschte (Naegele war übrigens beratend für Savedroid tätig), hat Naegele die Investoren des Pre-Sales für den ICO seines Helix Orange Projekts tatsächlich geprellt. Die Website ist nicht mehr abrufbar, der Twitter-Account wurde gelöscht und auf Anfragen wird nicht reagiert. Die letzte offizielle Stellungnahme zum Status Quo von Helix Orange findet man auf Medium. Sie ist vom 18. Januar 2019. Dort heißt es natürlich, dass alle Anlagen der Investoren sicher seien.

What happens to my investment?
No need to worry — all funds are 100% saved. We will introduce our new dashboard in the next weeks with new exciting features to help us spread the word about HELIX Orange and will give you, even more, features to participate and donate HIX tokens.

medium.com/@ICO_HELIXOrange

15 Monate später gibt es immer noch kein Update. Oder anders ausgedrückt: Wer es glaubt, wird selig. Wenn von Seiten Naegeles und der BLOCKCHAIN HELIX AG, die ironischerweise mit dem Slogan „Creators of Trust“ wirbt, die Pleite wenigstens offen kommuniziert würde. Stattdessen macht Naegele einfach weiter, als sei nichts geschehen. helix id heißt das Produkt, das nun beworben wird. Dagegen ließe sich nichts einwenden, wenn klar wäre, dass auch die geprellten ICO-Investoren davon profitieren. Allein hier fehlt mir der Glaube.
Ich habe natürlich keinerlei Kenntnis davon, wie viel Geld durch den Token-Pre-Sale, an dem auch ich mit einer kleinen Summe beteiligt war, auf das Konto der BLOCKCHAIN HELIX AG geflossen ist. Meine Vermutung ist, dass es längst ausgegeben wurde, um laufende Kosten zu decken.
Wie man es auch dreht und wendet: Oliver Naegele hat eine ganz schlechte Figur bei der Sache gemacht und hat meiner Meinung nach jegliches Vertrauen für zukünftige Projekte verspielt.

Filmtipp: A Hidden Life / Ein verborgenes Leben

Werter Leser, ich möchte Ihnen einen Film ans Herz legen. Ich weiß, an Terrence Malick scheiden sich die Geister, aber wenn ein Regisseur seines Kalibers einen Film mit Schauspielern aus Deutschland und Österreich über ein deutsches Thema macht, dann sollte man es wagen, auch wenn der Film Überlänge hat und so zart und langsam erzählt ist, wie man es sonst von Hollywood-Filmen über das Dritte Reich nicht gewohnt ist.
Zum Cast: August Diehl und Valerie Pachner in Hauptrollen, in Nebenrollen u.a. Tobias Moretti sowie die unlängst verstorbenen Größen Bruno Ganz und Michael Nyqvist. „A Hidden Life“ (dt. Ein verborgenes Leben) handelt vom österreichischen Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter, der alles opfert, um keinen Eid auf Adolf Hitler schwören zu müssen. Ein stiller Held, der in seiner Zeit als Verräter galt und dessen Entscheidung erst Jahrzehnte nach seinem Tod gewürdigt wurde.
Der Titel des Films beruht auf einem Zitat der englischen Schriftstellerin Mary Anne Evans (1809-1880), das ich hier in Gänze wiedergeben möchte, da sich darin die essentielle Botschaft des Films erkennen lässt.

The growing good of the world is partly dependent on unhistoric acts; and that things are not so ill with you and me as they might have been, is half owing to the number who lived faithfully a hidden life, and rest in unvisited tombs.

George Eliot*, Middlemarch

* Pseudonym von Mary Anne Evans

Der Film läuft momentan noch in den Kinos und wird bei Amazon * ab 31. Juli 2020 als DVD & Bluray erhältlich sein.
* Affiliate-Link

ANTHROPIE

Alle meine Ahnen haben ihre Kindheit überlebt
trotz Hunger, trotz Fieber, trotz Säbelzahntiger

Alle meine Ahnen haben Nachwuchs gezeugt
in Liebe, in Lust, in guten wie in schweren Zeiten

Es gab Mütter, die im Kindbett starben
doch ein Kind hat gelebt, hat überlebt
trotz Flut, trotz Pest, trotz Feuer

Alles ist eitel
doch bevor sie gingen
ward ein Leben in die Welt geworfen
wurden Geschwister geboren
wurde gestillt, geschrien, gejammert, gelacht

Viele starben im ersten Jahr
aber eins hat es immer geschafft
hat das Erbe weitergetragen
hat sich vermischt und vermendelt
bevor es selbst zu Asche ward

Eine Linie bis zur ersten Zelle
Wir sind alle verwandt
Wir sind alle letzte Glieder
in einer Kette von Ausnahmen

Im Rückblick ist alles ein Hinauslaufen auf uns
Großväter mussten an der Front überleben, bevor sie Väter wurden
Großmütter mussten sich in Bunker flüchten, bevor sie Mütter wurden
Und Naturkonstanten mussten sein, wie sie sind: feinjustiert
für die Genese von Sternen, Planeten und Wasser und Leben

Das ist nicht überraschend, aber es ist großartig und schön!

Albumbesprechung: Turbolenz – MUSI

Eines vorweg: Man muss kein Bajuware sein, um die Musik von Stefan Lenz aka Turbolenz zu mögen. Im Gegenteil, der bairische Zungenschlag ist weich und passt gut zu den Songs, in denen er eingesetzt wird. So auch beim ersten Track, der genauso heißt wie das Album selbst: MUSI. Ein Wohlfühlsong, der die positiven Auswirkungen beim Machen und Hören von Musik in den Mittelpunkt stellt und sofort ins Ohr geht. Der zweite Song „Himme Üwa Bayern“ ist eine Liebeserklärung des Erdingers an seine Heimat, jazzig-leicht und angenehm verspielt. Der „Tanz der Gehängten“ ist eine aufwendige Rocknummer. Textlich ist das Stück von Arthur Rimbauds Gedicht „Le bal des pendus“ inspiriert. Aber das muss man nicht wissen. Man höre es am besten laut, dann schaltet sich der Kopf schon von alleine aus. In „Konsum“ geht es um … Na ja, ist ja klar. Aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Witz und einem Sound, der an Westernhagen erinnert. „Glücklich sein“ ist ein Liebeslied, eines das traurig und hoffnungsvoll zugleich stimmt. Das mag widersprüchlich klingen, aber auf mich wirkt es so. Es ist mein persönliches Lieblingslied, nicht nur wegen des schönen Textes, sondern auch wegen der gut komponierten Melodie. Von den verbleibenden Liedern möchte ich noch „Brunzbieslbläd“ erwähnen. Es handelt von menschlicher Dummheit und kommt angenehm ruhig daher. Ein schöner Kontrast zum aufgeregten „How dare you!“, das so gar nichts Musisches hat. Auch das Outro „Der Lauf der Dinge“ gefällt mir sehr gut. Es ist ein instrumentales Stück, das noch einmal zeigt, wie vielseitig Stefan Lenz in seinen Kompositionen ist. Mein Fazit: Wer Musi mag, wird MUSI lieben!

MUSI erscheint Ende Dezember 2019, und zwar nicht nur als Download oder Stream, sondern auch als CD. Eine Hörprobe ist hier abrufbar. Das Release-Konzert steigt am 27.12.2019 in der Stadthalle Erding. Tickets unter turbolenz.com.