Filmtipp: A Hidden Life / Ein verborgenes Leben

Werter Leser, ich möchte Ihnen einen Film ans Herz legen. Ich weiß, an Terrence Malick scheiden sich die Geister, aber wenn ein Regisseur seines Kalibers einen Film mit Schauspielern aus Deutschland und Österreich über ein deutsches Thema macht, dann sollte man es wagen, auch wenn der Film Überlänge hat und so zart und langsam erzählt ist, wie man es sonst von Hollywood-Filmen über das Dritte Reich nicht gewohnt ist.
Zum Cast: August Diehl und Valerie Pachner in Hauptrollen, in Nebenrollen u.a. Tobias Moretti sowie die unlängst verstorbenen Größen Bruno Ganz und Michael Nyqvist. „A Hidden Life“ (dt. Ein verborgenes Leben) handelt vom österreichischen Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter, der alles opfert, um keinen Eid auf Adolf Hitler schwören zu müssen. Ein stiller Held, der in seiner Zeit als Verräter galt und dessen Entscheidung erst Jahrzehnte nach seinem Tod gewürdigt wurde.
Der Titel des Films beruht auf einem Zitat der englischen Schriftstellerin Mary Anne Evans (1809-1880), das ich hier in Gänze wiedergeben möchte, da sich darin die essentielle Botschaft des Films erkennen lässt.

The growing good of the world is partly dependent on unhistoric acts; and that things are not so ill with you and me as they might have been, is half owing to the number who lived faithfully a hidden life, and rest in unvisited tombs.

George Eliot*, Middlemarch

* Pseudonym von Mary Anne Evans

Der Film läuft momentan noch in den Kinos und wird bei Amazon * ab 31. Juli 2020 als DVD & Bluray erhältlich sein.
* Affiliate-Link

Some thoughts on „The American Side“ [2016]

[spoiler alert]

Some reviewers complain that it’s hard to follow the plot – but isn’t this typical for film noir?
Besides, if you watch the movie again [or only the scenes that made no sense to you], you will notice that there is no puzzle. The whole thing about barrel-crossing the Niagara over the American side is just a subplot that is not important for the main plot. The main plot goes like that: we have several parties that want to obtain both parts of Tesla’s note. Some might want to destroy them, some are seeking for the knowledge of how they fit together and what they mean. In the end we see that Charlie has both parts in his lighter: one on the front, the other on the back. Of course Nikki Meeker has put it in there. Remember? She „stole“ the lighter from him before. Now the light of the pinball machine and ta-da: Tesla’s potentially „world-changing“ note in it’s entirety. Then the phone call for Charlie. But that’s part of The American Side II … which, of course, will never be realised.

Some thoughts on „Last Days in the Desert“ [2015]

[spoiler alert]

I liked this movie. I liked the atmosphere, the soundtrack, the calm voice of Ewan. I also liked the idea of depicting the devil as double of Yeshua. I think the conversation that implies that God likes new outcomes that derive from little changes is essential. The „entanglement“ of the three family members illustrates this. Yeshua tries to solve the social riddle with words and compassion, not with godlike powers. But the outcome is unforeseeable, even for him. The movie should have ended after the scenario in the desert. I really wondered why Rodrigo García added the crucifixion scene with the hummingbird. Didn’t he know that hummingbirds live only in America? A dragonfly would have had the same effect. But OK, it’s the devil, he can do that [winking smiley].

Warum man den Film „Der Englische Patient“ gesehen haben sollte.

Vor 20 Jahren kam „The English Patient“ in die Kinos. Für mich ist der Film immer noch der beste Liebesfilm überhaupt und einer der besten Filme, die ich bisher gesehen habe. Ralph Fiennes spielt so abgöttisch gut. Kristin Scott Thomas und Juliette Binoche – ein Traum, und selbst die Nebenrollen sind mit Willem Dafoe, Colin Firth, Jürgen Prochnow u.a. hervorragend besetzt. Der heute bekannte Regisseur Sebastian Schipper [„Victoria“] hat übrigens auch eine kleine Rolle.
Regisseur Anthony Minghella [2008 viel zu früh verstorben] hat mit dem Film ein Vermächtnis geschaffen. Jede Einstellung ist so perfekt, dass man fast meinen könnte, Kubrick hätte hier mitgewirkt. Zudem hat er es geschafft, eine gute, aber schwer lesbare Romanvorlage, so umzusetzen, dass man das Buch von Michael Ondaatje gar nicht mehr anrühren will, und das will was heißen. Dann die wirklich sehr gute, zeitlose Filmmusik von Gabriel Yared, die ergänzt wird von zeitgenössischer Musik aus den Dreißigern [Swing / Jazz], sowie der Aria aus den Goldbergvariationen [Binoche am Klavier]. Hinzu kommt, dass die Geschichte teilweise auf wahren Begebenheiten beruht, so dass der interessierte Fan sich auch mit dem Leben des echten englischen Patienten [Ladislaus Almásy, gleicher Name wie im Film] befassen kann. Er hat tatsächlich als erster die sogenannte Höhle der Schwimmer mit 4.000 Jahre alten Felszeichnungen entdeckt und beschrieben – und damit indirekt nachgewiesen, dass einst andere klimatische Verhältnisse in Teilen der Sahara herrschten. Neben der Lektüre von Sekundär- und Primärliteratur [Almásy hat seine Expeditionen umfangreich dokumentiert] ging meine Obsession sogar soweit, dass ich sein Grab in Salzburg aufsuchen wollte, als ich gerade dort war. Es war mitten im Winter und ich habe es nach einer ewigen Suche aufgegeben, denn der Salzburger Hauptfriedhof ist groß. Aber ich habe es versucht. So, das wollte ich anlässlich des 20-jährigen Jubiläums doch mal loswerden.

Ich seh Ich seh – die Auflösung / Goodnight Mommy – the denouement

Blog-Artikel in Deutsch [English version below]

[enthält Spoiler]

Der Film „Ich seh Ich seh“ [im Engl. Goodnight Mommy] ist verstörend und rätselhaft, die Handlung verworren und schwer auflösbar. Hat Elias seinen Zwillingsbruder Lukas die ganze Zeit über bloß imaginiert? Ist dieser schon vor einiger Zeit bei einem Unfall ums Leben gekommen? Die letzten Worte der Mutter und die Anfangsszene, in der Lukas beim gemeinsamen Schwimmen mit seinem Bruder verdächtig lange untertaucht, legen das nahe. Aber wie kommt es, dass Elias seine Mutter in der Person, die vorgibt seine Mutter zu sein, nicht mehr wiedererkennt? Lässt er sich von dem Verband täuschen, der lange Zeit ihr Gesicht verdeckt? Ist es ihr immer strenger werdendes und nicht gerade liebevolles Verhalten? Was hat es mit dem Foto auf sich, auf dem zwei identisch aussehende Frauen nebeneinander zu sehen sind, die gleichen Klamotten tragend? Hatte die Mutter eine Zwillingsschwester? Wurde das Muttermal, das sie eindeutig identifiziert hätte, wirklich „gleich mit entfernt“, während sie im Krankenhaus war? Wie kam es eigentlich zur ihrer Gesichtsverletzung? Warum weiß sie nicht, welches Schlaflied Elias am liebsten hört? Andererseits, warum sollte eine geheime Zwillingsschwester die Rolle der Mutter einnehmen und die Jungen fortwährend belügen? Das ergäbe wenig Sinn.
Die Lösung besteht wohl tatsächlich darin, dass die Mutter die echte Mutter ist und Elias ein Trauma durchlebt, in dessen Verlauf ihm der imaginierte Bruder Zweifel an ihrer Identität einflüstert.
Doch ein Detail, das mir erst beim zweiten Sehen ins Auge gefallen ist, möchte ich noch erwähnen …

Bei der Recherche bin ich wiederholt auf die Bemerkung gestoßen, dass das Haus, das in einer der letzten Szenen von der Feuerwehr gelöscht wird, nicht das aus der Haupthandlung sei. Das ist falsch. Es ist lediglich ein anderer Blickwinkel. Wir sehen immer das gleiche Haus. Die unten beigefügten Bilder belegen dies. Und hier habe ich etwas bemerkt. Schauen Sie sich die Lösch-Szene noch einmal genau an. Achten Sie nicht auf das Feuer. Schauen Sie nach links. Sehen Sie die Frau, gekleidet in einem hellen Kleid, die sich langsam ins Bild bewegt? Sie hält inne, starrt einen Moment Richtung Feuer und verschwindet wieder in der Dunkelheit …

In der letzten Szene sieht man, wie sich die Brüder mit der Frau vereinigen. Sie läuft ihnen aus der Dunkelheit kommend im hellen Kleid entgegen. Es ist die geliebte Mutter. Gemeinsam singen sie „Sag mir wieviel Sternlein stehen“, das Schlaflied, das Lukas so mag. Ich seh, ich seh. Zumindest das imaginierte Ende fällt gut aus.

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English Version

[spoiler alert]

The film Goodnight Mommy [German title „Ich seh Ich seh“] is disturbing and mysterious, the plot confusing and difficult to resolve. Has Elias only imagined his twin brother Luke throughout the movie? Did he die in an accident some time ago? The last words of the mother and the initial scene, in which Luke is swimming with his brother and suspiciously long submerges, support this assumption. But how does it happen that Elias no longer recognizes his mother in the person who claims to be his mother? Is he fooled by the bandage that conceals her face for a long time? Is it her almost draconic and unloving behavior? What about the photo that shows two identical-looking women side by side wearing the same clothes? Does the mother have a twin sister? Was the birthmark, that would have identified her, really removed while she was in hospital? What caused her facial injury anyway? Why can’t she recall, which is the favorite lullaby of Elias? On the other hand, why should a secret twin sister slip into the role of the mother, lying constantly to the boys? That wouldn’t make much sense.
I think the assumption that the mother is actually the real mother is correct. Knowing the end we must conclude that Elias is going through a psychotrauma, in which the imaginary brother whispers doubts about her identity to him.
But there is still one detail that needs to be mentioned. It only caught my eye when I saw the movie for a second time …

While searching online I repeatedly encountered the comment that the house, which is extinguished in one of the last scenes by firemen, is not the one of the main plot. This is wrong. It’s just a different point of view. We always see the same house. The screenshots below prove this. And at this point I noticed something. Watch the extinguishing scene again. Do not pay attention to the fire. Look to the left. Do you see the woman in a bright dress moving slowly into the scene? She stops, stares a moment towards the fire and disappears in the darkness again …

In the final scene we see the two brothers and the woman reuniting. She is approaching them out of the the dark wearing the bright dress. It is their beloved mother. Together they sing the favorite lullaby of Lukas. I see, I see. At least the imagined end is a happy end.

Bilder / Images

Einzelbilder / frames
Einzelbilder aus dem Film „Ich seh Ich seh“ / film frames from the movie „Goodnight Mommy“. Click for full size / Klicken für Vollbild / image credit: Koch Media

The documentary „Swastika“ [1974] by Philippe Mora / die Dokumentation „Swastika“

Article in English [in deutsch siehe unten]
 
That’s the starkest documentary about the Third Reich, I have seen so far. At the age of 19 Franco-Australian film student Philippe Mora made the archive discovery of his life. With the help of a historian he found the Obersalzberg film roles that Eva Braun once stored in her bedroom at the Berghof and that were later seized by US military personnel.
Mora mixed these private recordings with Nazi propaganda material and created a documentary. Only in the second part of the movie he used footage from „the other side“. The movie misses any comment. Mora let the pictures speak for themselves. The documentary caused a scandal back then and was first shown in German cinemas 37 years later. The contrast between cosy mountain idyll, martial parades and evil propaganda is hard to overcome. The film conveys a sense of how powerful and thrilling the atmosphere was at that time. The Overture to Wagner’s Tannhäuser combined with pictures of a country on the move, politics as religion, the Olympic Games, the eerily beautiful Riefenstahl scenes, Adolf and Eva at the Berghof playing cheerfully with  dogs, next to hate speech, first acts of violence against Jews and military armament. We all know what came and had to come. The German population did not know every detail, or did not want to know. Repression as a survival strategy. „Better go with the flow“ was the motto. Go with a movement unseen in history. Even in the faraway US there were tens of thousands who got infected by the Hitler mania. [This is also shown in the documentary.]
And then the second part of the movie. The great destruction. A crescendo of violence. Bombs, flashes of light, dead bodies, total war; sicker and more intense as any Hollywood production can ever be. Then camera flights over a completely devastated country, images from the concentration camps. So terrible that you don’t want to look at them.
Time for the end credits? No. The movie ends with a scene at the Berghof in which Hitler is hosting a few guests. Coffee and cake is served. I repeat. Coffee and cake. I can hardly imagine a more bitter contrast.
I recommend this movie to anyone who is not only interested in theories about mass psychology and the phenomenon of „ideology as a substitute for religion“, but who wants to sense an undertone, a mood, an inkling of ​​what was going on back then. Yes, the first part of the film is dangerous. It depicts Hitler as a human being and shows a country that is completely inebriated. But if one really wants to understand the events of that time, one has to expose itself to this.
 
Der Artikel in deutsch

Das ist der krasseste Dokumentarfilm über das Dritte Reich, den ich bisher gesehen habe. Als 19-jähriger Filmstudent machte der Franco-Australier Philippe Mora die Archiventdeckung seines Lebens. Mit Hilfe eines Historikers spürte er die von amerikanischen Armeeangehörigen auf dem Obersalzberg beschlagnahmten Filmrollen auf, die Eva Braun in ihrem Schlafzimmer auf dem Berghof gelagert hatte. Diese privaten Aufnahmen kompilierte er zusammen mit Propaganda-Material der Nazis zu einem Dokumentarfilm. Erst im zweiten Teil wird auch filmisches Material „der anderen Seite“ verwendet. Der komplette Film kommt ohne jeglichen Kommentar aus. Die Bilder sprechen für sich. Der Film löste damals einen Skandal aus und wurde in Deutschland erst 37 Jahre nach Entstehung im Kino gezeigt. Die Kontraste zwischen heimeliger Bergidylle, martialischen Paraden und bitterböser Propaganda könnten größer nicht sein. Der Film vermittelt ein Gefühl davon, wie mitreißend die Stimmung damals war. Die Ouvertüre zum Tannhäuser, dazu ein Land im Aufbruch, Politik als Religion, die olympischen Spiele, die schaurig-schönen Riefenstahl-Bilder, Adolf und Eva auf dem Berghof, mit Hunden spielend, fröhlich und ausgelassen, daneben Hassparolen, erste Gewalttaten gegen Juden, militärische Aufrüstung. Wir alle wissen, was kam, ja kommen musste. Die Bevölkerung wusste damals vieles nicht, oder wollte es nicht wissen. Verdrängung als Überlebensstrategie. Lieber mitschwimmen im großen Strom einer Bewegung, wie sie die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Selbst im fernen Amerika gab es zehntausende, die sich von der Hitlermanie anstecken ließen. Auch davon werden Bilder gezeigt.
Und dann der zweite Teil des Films. Die große Zerstörung. Ein Crescendo der Gewalt. Bomben, Lichtblitze, Tote, der totale Krieg; krasser als es jeder Hollywoodfilm nachstellen kann. Dann Kameraflüge über ein komplett zerstörtes Land, Bilder aus den Konzentrationslagern. So schrecklich, dass man nicht hinschauen will. Kommt nun endlich der Abspann? Nein. Der Film endet mit einer Berghof-Szene, in der Hitler ein paar Gäste bei sich bewirtet. Es gibt Kaffee und Kuchen. Ich wiederhole. Kaffee und Kuchen. Bitterer kann kein Kontrast sein.
Ich empfehle diesen Film jedem, der sich nicht nur theoretisch mit Massenpsychologie und dem Phänomen „Ideologie als Religionsersatz“ befassen will, sondern der darüber hinaus ein Gefühl, ein Stimmungsbild, eine Ahnung von dem, was damals abging, einfangen möchte. Ja, der erste Teil des Films ist gefährlich. Er zeigt Hitler als Menschen und ein vollkommen berauschtes Land. Doch wer das Geschehene wirklich begreifen will, muss sich dem Teil schon aussetzen.
Zur weiterführenden Lektüre hier eine Filmkritik von Sonja M. Schultz.