OkCupid – damals und heute – ein kritischer Erfahrungsbericht

2014 habe ich mich auf OkCupid angemeldet. Das auf der Beantwortung und Gewichtung von Fragen beruhende Matchingsystem erschien mir eine wohltuende Alternative zu Tinder und dem oberflächlichen Swipen zu sein. Damals gab es keine deutsche Sprachversion, was den Effekt hatte, dass das Publikum internationaler war als bei der Konkurrenz. Es gab 2014 natürlich auch schon Funktionen, die nur gegen Bezahlung freigeschaltet wurden, aber die kostenfreie Version war insgesamt gut nutzbar und nicht so stark eingeschränkt, wie das heute der Fall ist. Klar, es wurde viel Werbung geschaltet, aber das war und ist völlig ok, schließlich muss sich die Plattform für die Betreiber rechnen.

Damals gab man einige Präferenzen an und dann wurden einem nur solche Profile angezeigt, die darauf passten, wobei Profile mit dem höchsten Matchwert noch oben sortiert wurden. War man zu wählerisch, musste man z.B. den Suchradius erweitern oder bestimmte Vorgaben wieder abwählen, aber es wurden einem nicht x-beliebige Profile angezeigt, wie das heute der Fall ist, wenn man die kostenlose Version verwendet.

Nach und nach ist OkCupid leider zur Tinder-Kopie geworden. Mittlerweile wird man auch hier zum Swipen (App) bzw. Wegklicken (Desktop) verpflichtet und kann sich erst gegenseitig schreiben, wenn ein Match vorliegt. Natürlich sieht man nur dann, wer einen geliket hat, wenn man zahlender Kunde ist. Günstig ist das nicht. Hier die aktuellen Preise für OkCupid Premium (Stand Juli 2022).

Man soll natürlich gleich 6 Monate buchen – macht 101,46 €, die sofort fällig werden.

Alternativ kann man versuchen, den Erstkontakt über ein sogenanntes „Intro“ herzustellen. Allerdings versanden solche Textnachrichten oft, da sie nur von Mitgliedern mit Abo überblickt werden können. Ohne Abo sieht man immer nur die älteste Nachricht. Um die übrigen sichtbar zu machen, muss man sich durch die Profile der Absender hangeln. Das machen viele natürlich nicht. Einen Spam-Ordner geht man ja auch nicht Mail für Mail durch.

Präferenzen werden nur in kostenpflichtiger Version streng berücksichtigt

Ich habe es bereits angesprochen. Früher hat OkCupid die Präferenzen aller Nutzer befolgt. Wenn man angegeben hat, dass man heterosexuelle Frauen sucht, dann wurden auch nur Profile mit Frauen dieser Orientierung ausgeliefert. Prinzipiell ist das auch immer noch möglich, aber man muss für sogenannte „No-Gos“ das Premium-Abo haben. Und so werden dem nicht zahlenden Nutzer im Jahr 2022 auch Profile angezeigt, die von der sexuellen Orientierung her gar nicht passen, und zwar ständig. Ich habe natürlich nichts dagegen, dass man auf OkCupid alle denkmöglichen Geschlechter, Orientierungen und Vorlieben angeben kann – jeder möge nach seiner Façon glücklich werden – aber als störend empfinde ich es schon, dass ich mich durch Profile klicken muss, die grundsätzlich nicht passen. Es soll natürlich stören und gefrustete Nutzer in die Bezahlversion treiben. Ob diese Strategie aufgeht? Ich habe da große Zweifel.

Früher war es außerdem so, dass man ein Profil einmal wegklicken musste und dann wurde es nicht wieder vorgeschlagen. Heute werden weggeklickte Profile einfach wieder und wieder ausgeliefert. Offenbar will man zweierlei: Nutzer möglichst lange auf der Plattform halten und gleichzeitig vermeiden, dass sie sich abwenden, weil sie in ihrer Region nicht fündig werden. „Dann lassen wir sie doch einfach noch einmal durchswipen, den meisten fällt es sowieso nicht auf.“ So oder so ähnlich scheinen die Strategen hinter OkCupid zu denken.

Du bist ein guter Fang! Auch OkCupid betreibt Abzocke

Nun komme ich zu dem Punkt, der mich dazu bewogen hat, diesen Artikel zu schreiben. Ich dachte immer, OkCupid sei einigermaßen fair und betreibe keine Abzocke wie andere Anbieter. Leider ist das nicht der Fall. Man wird auch hier mit Tricks zum Abschließen eines Abos gebracht.

Like ist nicht gleich Like
Man geht ja davon aus, dass die Likes, die man erhalten hat, von Nutzern kommen, die grundsätzlich interessant sein könnten. Deswegen freut man sich durchaus über 39 Likes und denkt sich, „ach komm, ich zahl mal einen Monat, und schaue mir an, wer mich da geliket hat.“

Screenshot aus der Desktop-Version. Man wird umschmeichelt, um zu zahlen.

Nachdem man bezahlt hat, stellt man ernüchtert fest, dass 90 Prozent der Anfragen aus Kenia oder anderen Regionen der dritten Welt stammen. Man denkt sich, gut, das mag wohl daher kommen, dass es Leute gibt, die bei Entfernung „überall“ angeben. Tatsächlich gibt es aber noch einen anderen Grund – und hier nimmt die Masche ihren Lauf:

Ich habe das Premium-Abo einen Monat lang gehabt. Es kamen in dieser Zeit keine Likes hinzu, was an meinem Profil liegen mag, aber just nachdem das Abo abgelaufen war und ich keine Likes mehr sehen konnte, gingen binnen einer Stunde dutzende neue Likes ein. In den Tagen danach herrschte hingegen wieder die gewohnte Flaute. Was war hier passiert?
Nun, es ist wohl so: Sowie mein Abo abgelaufen war, wurde mein Profil für kurze Zeit für Nutzer freigegeben, die weltweit suchen und selbst aus Ländern stammen, in denen man sich nach westlichem Wohlstand sehnt. Die Likes prasseln dann rein wie Platzregen, wobei der Algorithmus bei einer hinreichenden Menge zumacht, es sollen ja keine unrealistischen Werte entstehen. Es braucht also gar keine Fake-Accounts, um Nutzer in ein Abo zu locken. Die hier beschriebene Methode ist raffinierter, vermutlich wird sie bei allen Accounts angewendet, die kaum oder keine Likes in ihrer Heimatregion erzielen und kein aktives Abo haben. Beweisen kann ich das natürlich nicht, aber ich bin mir verdammt sicher, dass es so gemacht wird.

Fazit
OkCupid ist mittlerweile eine Dating-Plattform wie jede andere. Man wird zu oberflächlichem Swipen gezwungen. Die kostenlose Version ist nur sehr eingeschränkt nutzbar und man wird mit miesen Tricks in ein Abo gelockt. Ich kann OkCupid daher nicht mehr empfehlen. Das war vor ein paar Jahren noch anders. Schade.

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