Warum meine beste aller möglichen Welten deterministisch ist.

Vorbemerkung: Diesen Aufsatz habe ich 2007 geschrieben. Die Frage nach der Willensfreiheit würde ich heute anders beantworten. Gleichwohl halte ich den Text nach wie vor für lesenswert.  

Dieser Kurzaufsatz versucht natürlich keine Antwort auf die Frage zu geben, ob unsere Welt gänzlich deterministisch ist oder nicht. Das wäre eine Frage, die sich nur mit allumfassender Kenntnis der naturgesetzlichen Struktur des Universums klären ließe. Die Beantwortung dieser Frage fiele also [wenn überhaupt] in den Kompetenzbereich der Physik. Jedoch kann der Philosoph seine Zeit nutzen, indem er sich Gedanken darüber macht, was es bedeuten würde, in einem deterministischen Universum zu leben.
Ich behaupte nicht bloß, dass der Determinismus ein konsistentes Erklärungsmodell ist – das wäre zu wenig – vielmehr möchte ich zeigen, warum der Determinismus auch aus philosophischen Gründen Vorteile gegenüber indeterministischen Konzepten bietet. Keineswegs werde ich eine kompatibilistische Position beziehen, in der sich Willensfreiheit und Determinismus gegenseitig nicht ausschließen. Ich persönliche glaube, dass der menschliche Geist nicht losgelöst von der materiellen Welt existieren kann. Das impliziert nicht, dass der Mensch willenlos ist. Nein, der bewusste Wille ist schon da, nur ist er in meiner Vorstellung durch unvorstellbar komplexe Kausalketten ins Universum eingebettet.


Deterministisches Chaos, Berechenbarkeit und quantenmechanischer Zufall  

In einem absolut deterministischen Universum kann es keinen Platz für Zufälle geben. Der Physiker, der seine Aufgabe darin sieht, die Wahrheit des Determinismus zu beweisen, müsste also zeigen, dass diejenigen Phänomene, die ein Ergebnis echten Zufalls zu sein scheinen, auf Pseudozufall beruhen. Einstein ist das nicht gelungen, obwohl er zeitlebens daran gearbeitet hat. Sein berühmter Satz „Gott würfelt nicht“ blieb gleichwohl ein Vermächtnis für viele nachfolgende Physiker, die wie er eine indeterministische Deutung der Quantenphysik nicht hinnehmen wollten.
 
Auf der Makroebene scheinen alle Systeme naturgesetzlich determiniert zu sein. Das gilt auch für Systeme, die in der Physik als chaotisch bezeichnet werden. Ein chaotisches System gilt aufgrund seiner Komplexität als unberechenbar. Diese Unberechenbarkeit beruht allerdings nicht auf einer prinzipiellen epistemischen Schranke, sondern auf einem Mangel an Information. Auch ein chaotisches System folgt einer deterministischen Dynamik und ein allwissendes Wesen könnte das Verhalten des Systems prinzipiell vorhersagen.
Die letzte Bastion echten Zufalls bildet allein die Quantenphysik, deren Entwicklung bereits im frühen zwanzigsten Jahrhundert mit Arbeiten von Planck und Einstein begann und die von Bohr, Heisenberg u. a. weiterentwickelt wurde, dann allerdings unter indeterministischen Prämissen [siehe Kopenhagener Deutung]. Von Beginn an stellten sich die Forscher natürlich die Frage, ob die scheinbar zufälligen Phänomenen auf der Quantenebene [z. B. beim Doppelspaltversuch] nicht doch determiniert sein könnten. Die Existenz von sogenannten nichtlokalen verborgenen Variablen lässt sich jedenfalls bis heute nicht ausschließen und es gibt eine ganze Reihe von Interpretationen der Quantenphysik, die auf dieser Möglichkeit fußen.
Aber selbst wenn es auf der Quantenebene tatsächlich echte Zufallsprozesse geben sollte, so änderte das nichts an der Determiniertheit des Menschen. Denn Quanteneffekte machen sich nach heutigem Erkenntnisstand auf höheren Ebenen nicht bemerkbar, d. h. die Physik des meso- und makroskopischen Bereichs [und damit auch die des Gehirns] ist vermutlich eine deterministische.


Der Indeterminismus ist ein Determinismus  

Jetzt kommt ein weiteres aber – und dieses ist entscheidend: Selbst wenn sich quantenphysikalische Zufallseffekte auf höhere Ebenen auswirken sollten [insbes. im menschlichen Gehirn], die Physik der menschlichen Kognition also nicht vollständig deterministisch wäre, so änderte das auch nichts an der Determiniertheit des Menschen. Es wäre allerdings eine weniger wünschenswerte Determiniertheit, denn der menschliche Wille würde teilweise von unkontrollierten Zufallsprozessen abhängen. Innerhalb des quantenmechanischen Systems Mensch herrschte zwar ein gewisser Freiheitsgrad, aber der Wille selbst wäre in Gefahr. Treffend formuliert hat dies mein Freund Carsten Glöckner: „Ein freier Wille ist nicht dein Wille.“
 
Zudem hat eine indeterministische Welt den Nachteil, das sie nicht hintergehbare Erkenntnisgrenzen enthält. In einer solchen Welt wäre es unmöglich herauszufinden, warum sich ein System exakt so verhalten hat, wie es sich verhalten hat. Dinge wie Gehirne wären nichts anderes als komplexe Würfel, von denen man nicht genau wissen kann, wie sie fallen.
Die Struktur hinter den Dingen möglichst genau zu beschreiben und zu verstehen, ist das Ziel jedes seriösen Forschers. Zwar trägt der Philosoph nicht unmittelbar zur Aufdeckung dieser Strukturen bei, aber er sollte doch zumindest das Interesse an dieser Form der Erkenntniserweiterung teilen. Für den forschenden Menschen muss die beste aller möglichen Welten folglich eine deterministische sein, denn nur in einer solchen kann das Rekonstruktionsprinzip vollständig gelten, nur in einer solchen kann durch sukzessives Aufdecken ihrer Strukturen ein höheres Prinzip in seiner Gänze erkannt werden. Kurzum: ein Universum, das sich selbst betrachten und verstehen kann, ist deterministisch.


Die Irrationalitätstheorie der Willensfreiheit  

Von einem befreundeten Physiker wurde die Fähigkeit, irrationale Handlungen zu vollziehen, als Indiz für die menschliche Willensfreiheit herangezogen. Aus bewusster Perspektive scheint es, als könne der Mensch durch Willensanstrengung tatsächlich irrationale Entscheidungen herbeiführen. Betrachtet man die molekulare Ebene, entscheidet der Mensch aber gemäß seiner Hirnzustände. Auf dieser Ebene wird Rationalitätam besten in Bezug auf eine spezifische Zweckerfüllung verstanden. Ein Hirnzustand ist also dann rational, wenn er zweckerfüllend ist. Wenn man sich nun bewusst zu einer irrationalen Tat entschließen möchte, bedeutet das auf unterer Ebene, dass die Zweckerfüllung gerade darin besteht, den Prozess anzuwerfen, der die irrationale Handlung initiiert. Denn natürlich kann ich mich dazu entscheiden, komische Dinge zu sagen oder Fratzen zu ziehen. Aber das ist nicht im entferntesten ein Beweis dafür, dass der Wille nicht determiniert ist.
 
Aber angenommen der Quantenzufall könnte tatsächlich die Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten herbeiführen, und eine der zwei Möglichkeiten wäre tatsächlich irrationaler in Bezug auf eine Zweckerfüllung, dann wäre die hier vorgestellte Form der Willensfreiheit erfüllt. Doch ist das eine Vorstellung die positiv besetzt werden kann? Willensfreiheit bestünde dann darin, dass durch Zufallsprozesse irrationale Handlungen nicht ausgeschlossen sind. Ist das eine befriedigende Antwort? Wenn man annimmt, dass ein zweckerfüllender Zustand darin bestehen könnte, dass die Person auf bewusster Ebene zu der Einstellung kommt, einen anderen Menschen töten zu müssen, der irrationale Zustand diesen Zwang jedoch abwenden könnte, hätte die Theorie dann an Attraktivität gewonnen?
Ich denke nicht, denn auch der umgekehrte Fall wäre möglich. Man könnte zwischen dem Zustand, jemanden umbringen zu müssen, und dem, dies nicht zu tun, schweben – und entscheiden müsste der Zufall. Diese Theorie erscheint mir als eine äußerst unbefriedigende Theorie der Willensfreiheit, denn gemäß dieser werden ultimative Handlungen zum Würfelspiel.


Die akausale Theorie der Willensfreiheit  

Philosophen, die die Kopenhagener Deutung [KD] schätzen, würden an dieser Stelle vielleicht einschreiten und argumentieren, die obige Theorie wäre dann vollkommen, wenn man zusätzlich annähme, dass der Zustand, bei dem der Geist zwischen rationaler und irrationaler Entscheidung schwebt [siehe Superposition], durch den freien Willendes Menschen in die gewünschte Richtung gelenkt werden kann. [Man könnte diesen Prozess in Anlehnung an die KD als vom Willen gesteuerte Zustandsreduktion bezeichnen.] Freilich wäre der Wille dann eine Instanz, die immateriell ist und von nichts außer sich selbst abhängt, d. h. akausal ist. Der Wille wäre im wahrsten Sinne des Wortes ein unbewegter Beweger. Dass dieser Theorie nicht mit physikalischen Mitteln beizukommen ist, liegt auf der Hand. Mehr noch: Es ist eine Theorie, die alles erklären will, aber nichts beweist, die weitere Fragen aufwirft und gegen das Prinzip ontologischer Sparsamkeit verstößt. Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass sie wahr ist. Für den Philosophen, dem die menschliche Würde besonders am Herzen liegt, wäre eine Welt, in der es im Kopf akausal zugeht, vermutlich die beste aller möglichen Welten. Allerdings würde sich eine solche Welt nicht mit dem Konzept eines allmächtigen Gottes vertragen. Aber diese Vorstellung gilt ja ohnehin als naiv.
Für welche Theorie entscheiden Sie sich nun, werter Leser? Meine These: Das Universum kennt die Antwort. Nur beweisen kann ich es nicht. Aber auch das weiß das Universum.
  

Kommentieren / comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.